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Die 'Care-Seite' der Arbeit

Nach 1917 sollten nicht nur Staat, Produktionsweise und Gesellschaft unter sozialistischen Vorzeichen neu gestaltet werden – auch Alltagsgewohnheiten und zwischenmenschliche Beziehungen waren im Wandel begriffen. Das Dissertationsprojekt fragt nach der Bedeutung und Darstellung von Sorgetätigkeit in den utopischen Entwürfen und Lebensrealitäten nach dem Oktoberumsturz der Bolschewiki.

Die 'Careseite' der Arbeit. (Un)Sichtbarkeiten von Sorgetätigkeit in Zukunftsentwürfen, Lebensrealitäten und Blickregimen nach den Russischen Revolutionen 1917

Utopien dienten im revolutionären Russland als Handlungsanleitung – sie brachten Imaginationen einer anderen Lebensweise hervor, die abstrakte politische Pläne konkretisieren und emotionalisieren sollten. In neuen Zukunftsentwürfen wurden Werte, Vorstellungen und Normen ausgehandelt, kodifiziert und sichtbar (oder auch unsichtbar) gemacht. Zentraler Topos war der Neue Mensch, der vor allem über seine Gesundheit und Arbeitsfähigkeit definiert wurde. Das Forschungsprojekt interessiert sich für die Kehrseite dieses auf Arbeit fokussierten revolutionären Menschenbilds, die sich zugleich auch als »Care-Seite« bestimmen lässt: die Sorgearbeit. Wer kümmerte sich um diejenigen, die nicht autonom, leistungsstark und arbeitsfähig waren? Hielten die utopischen Entwürfe hier Antworten bereit oder blieb Fürsorge ausgespart?

Die (Un-)Sichtbarkeit von Sorgetätigkeiten steht symptomatisch für Hierarchien entlang geschlechtlicher und gesellschaftlicher Trennlinien. Sie gibt Aufschluss über die Beziehung zwischen dem Staat und seinen Subjekten ebenso wie über die visuelle Konstruktion von Gender. Indem es Aspekte wie Geschlechterbeziehungen, Elternschaft und Familienmodelle mit Fragen nach dem Verhältnis von Öffentlichkeit und Häuslichkeit sowie Gesundheitswesen, Altenpflege und Dienstleistungen verknüpft, schließt das Forschungsprojekt eine Leerstelle der bisherigen Forschung zu den Russischen Revolutionen.

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